Spezifisches Reaktivkrafttraining ist im Muskelaufbausport noch immer vergleichsweise wenig verbreitet. Ursprünglich nur für Profi-Athleten entwickelt, können aber auch Hobbysportler von den „Plyometrics“ profitieren und ihre Maximalkraft steigern. Wir erklären wie.
Immer öfter hört man in Fitness-Studios, Zeitschriften und Blogs den Begriff „Plyometrics“, eine vermeintlich neue Art des Krafttrainings, die meist ohne Hanteln, Maschinen und sonstige Zusatzgewichte auskommt und lediglich das eigene Körpergewicht als Widerstand nutzt. Die Übungen werden dynamisch ausgeführt und basieren auf dem Dehnungs-Kontraktionszyklus der Muskulatur. Trainiert wird damit die sogenannte Reaktivkraft, die vor allem in bewegungsreichen, schnellen Sportarten wie Leichtathletik, Ballsport oder Kampfsport von Nutzen ist. Während im Muskelaufbau neben dem klassischen Hypertrophie-, also Muskeltraining häufig auch Maximal- und Schnellkraft- sowie Kraftausdauereinheiten eingebaut werden, kommt das Reaktivkrafttraining oftmals noch zu kurz. Zu Unrecht, plyometrische Work-outs sind auch für reine Kraftsportler nicht nur eine willkommene Abwechslung, sondern können neue Wachstumsreize setzen und die Maximalkraft steigern.
Was ist Reaktivkraft?
Reaktivkraft ist eine der vier großen Kraftarten und eine Form der Schnellkraft. Reaktivkrafttraining beruht auf der Fähigkeit deiner Muskulatur, während einer Dehnungsphase Energie zu speichern und sie während einer darauffolgenden Verkürzungsphase wieder freizusetzen, wodurch der entstehende Kraftimpuls sich vergrößert, ähnlich dem Prinzip einer Sprungfeder. Ein praktisches Beispiel:
Bei einem sogenannten Hock-Streck-Sprung gehst du vor dem eigentlichen Absprung tief die Knie. Deine Muskulatur wird dabei gedehnt, dieser Teil der Bewegung nennt sich exzentrische Phase. Hier wird ein Teil der Bewegungsenergie gespeichert, die entsteht, wenn du deinen Körper nach unten sinken lässt. Unten angekommen explodierst du sofort zu einem Strecksprung zurück nach oben. Um den ausführen zu können, ziehen deine Muskeln sich zusammen. Dies ist die sogenannte Kontraktionsphase, die für jede Kraftentwicklung notwendig ist. Zusätzlich zur dabei entstehenden Energie, wird auch die zuvor gespeicherte Energie der exzentrischen Phase abgegeben. Die Folge: Du springst schneller und höher. Möglich macht diesen Effekt der Dehnungsreflex deiner Muskulatur, der gezielt trainiert werden kann.
Anfangs wurde diese Form des Trainings speziell für Hochleistungssportler, wie Sprinter, Basketballspieler oder Hochspringer entwickelt. Inzwischen finden die Prinzipien des Reaktivkrafttrainings jedoch auch vermehrt Einzug in den Breitensport. Hobby-Fußballer profitieren z. B. von einer Steigerung der Reaktivkraft, weil sie plötzlich schneller sprinten, höher springen und flinkere Haken schlagen können. Doch auch im klassischen Muskelaufbau kann plyometrisches Training helfen, deine Kraftwerte zu steigern und neue Wachstumsreize für deine Muskulatur zu setzen.
Was nützen Plyometrics im Muskelaufbau?
Das Wichtigste vorweg: Mit plyometrischen Übungen steigerst du nicht nur die Reaktionsgeschwindigkeit deiner Muskeln, sondern auch deine Maximalkraft. Und das ganz ohne Zusatzgewichte. Wie das geht? Die Übungen beanspruchen vor allem die schnell kontrahierenden weißen F-Muskelfasern, die zwar viel Energie verbrauchen und schnell ermüden, aber auch die meiste Kraft entwickeln können. Mehr Maximalkraft bedeutet später, im klassischen Muskelaufbautraining, höhere Gewichte – also auch größere Muskeln. Auch die Plyo-Work-outs selbst haben aufgrund der Beanspruchung der weißen Muskelfasern natürlich auch ein direktes Muskelwachstum zur Folge. Brauchst du noch mehr Argumente für Plyometrics?
Plyometrische Übungen basieren auf einer erheblichen Dehnung deiner Muskulatur, was die Flexibilität deiner Muskeln, Sehnen und Bänder erhöht. Außerdem wird meist ohne Zusatzgewichte trainiert, das entlastet deine Gelenke, Sehnen und Bänder und minimiert Verletzungsrisiken. Zusätzlich verbesserst du deine Koordination, Balance und Kondition in erheblichem Maß.
Auf einen Blick: Die Vorteile plyometrischen Trainings
- mehr Maximalkraft
- mehr Schnellkraft
- mehr Muskelmasse
- höhere Reaktionsgeschwindigkeit
- mehr Flexibilität
- bessere Koordination
- bessere Kondition
- schonend für Sehnen, Bänder und Gelenke
Wie wird trainiert?
Ziel des plyometrischen Trainings ist es, dass deine Muskelfasern während der Dehnungsphase mehr Energie speichern und sie explosiver auf die konzentrische Phase übertragen können. Das Prinzip ist einfach: Je stärker und schneller die Dehnung erfolgt, desto stärker erfolgt die Kontraktion. Wichtig ist, dass der Moment zwischen Dehnung und Kontraktion so kurz wie möglich ist, da dort die gespeicherte Energie verpufft. Gehst du also zu einem Hock-Streck-Sprung in die Knie, darfst du nicht in der Hocke verharren, sondern musst bei Erreichen der Endposition sofort zum Sprung ansetzen.
Plyometrics wurden vorranging für den unteren Körperbereich entwickelt, da Anfangs vornehmlich die Sprungkraft verbessert werden sollte. Doch inzwischen existieren auch für den Oberkörper verschiedene Übungen, mit meist Wurf- oder Stoßbewegungen. Fast alle Übungen können mit dem eigenen Körpergewicht und ohne zusätzlichen Widerstand ausgeführt werden, Fortgeschrittene dürfen aber auch gern Zusatzgewichte nutzen, solange die Ausführung darunter nicht leidet.
Denn wie überall im Muskelaufbau spielt eine korrekte Ausführung der Übungen eine wesentliche Rolle. Und: Weil die Übungen das Zusammenspiel aus Dehnung und Kontraktion verbessern sollen, ist eine schnelle und explosive Übungsausführung von oberster Bedeutung. Langsam ausgeführte Bewegungen mindern den Trainingserfolg enorm. Wer glaubt, die Übungen wären einfach, weil sie ohne Zusatzgewicht auskommen, irrt. Die Work-outs sind temporeich und hochintensiv, weshalb zwischen den Sätzen ausreichend Zeit zur Regeneration nötig ist. Lange Pausen und viele, dafür aber kurze Sätze sind daher ein besonderes Merkmal plyometrischen Trainings. Als guter Richtwert gilt: Vier bis acht Sätze á drei bis sechs sauberen Wiederholungen, bei maximalem Tempo und Krafteinsatz.
Plyometrische Übungen kannst du in fast jedes Training einbauen. Häufig finden sie Einzug ins sogenannte Zirkeltraining, bei dem nacheinander eine Vielzahl von Übungen in kurzer Zeit absolviert wird. Der Vorteil: Dein Puls rast, du verbrennst Fett und baust gleichzeitig Muskeln auf. Für erfahrene Sportler ist eine zyklische Aufteilung des Trainingsplans sinnvoll, so dass neben dem klassischen Muskelaufbautraining, auch Maximal- und Schnellkraft-, Kraftausdauer- und Reaktivkrafteinheiten enthalten sind. Ein beispielhafter Plan wäre:
- 8 Wochen klassisches Muskelaufbautraining
- 6 Wochen Schnellkrafttraining/Maximalkrafttraining
- 4 Wochen Kraftausdauer-Training
- 2 Wochen plyometrisches Training
- 1 Woche Pause
Beispielübung: Der Kastensprung
Eine der verbreitetsten Plyo-Übungen ist der sogenannte Kastensprung, auch als Plyo-Box-Jump bezeichnet. Aus dem Sportunterricht sind dir die stapelbaren, stabilen Holzkisten verschiedener Höhe sicher noch ein Begriff. Hast du eine solche nicht zur Hand, tut es auch eine Bank oder jeder andere stabile, kastenförmige Gegenstand. Positioniere dich mit dem Rücken zur Kante auf der Box und springe rückwärts hinunter. Federe den Aufprall kurz ab und explodiere, sobald deine Füße den Boden berühren, sofort wieder zu einem Sprung zurück in die Ausgangsposition.
Weitere beispielhafte Übungen
Du kannst problemlos viele dir bereits bekannten Übungen ein wenig abwandeln, um sie zu einer Plyo-Übung umzufunktionieren. Ein Beispiel: der klassische Sit-Up. Halte während der Übung einen Medizinball vor deiner Brust und stoße ihn am Ende der Aufwärtsbewegung deines Oberkörpers kraftvoll vor eine Wand. Wichtig: stoßen, nicht werfen! Fang den zurückprallenden Ball anschließend wieder auf und bewege deinen Oberkörper zurück nach unten.
Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert das sogenannte Medizinball-Stoßen, dass vor allem im Boxen und Kugelstoßen häufig trainiert wird. Mit einer einarmigen, geraden Stoßbewegung beförderst du einen Medizinball explosiv gegen eine Wand. Den zurückprallenden Ball fängst du auf und stößt ihn erneut.
Für den Unterkörper existieren eine Vielzahl an Sprungübungen, wie der oben vorgestellte Kastensprung oder der Hock-Streck-Sprung. Weit verbreitet ist zudem die Sprung-Kniebeuge, bei der aus einer halben Kniebeuge explosiv abgesprungen wird – wahlweise auch mit Gewicht.
Weitere exemplarische Plyo-Übungen sind:
Explosive Liegestütze auf der Matte
Explosive Liegestütze auf der Bank
Liegestütze mit Medizinball mit Handwechsel
Auf was musst du achten?
Aufwärmen – Bereite deine Muskulatur auf das plyometrische Training vor indem du sie ordnungsgemäß aufwärmst. Die Übungen leben vom dynamischen Zusammenspiel aus Dehnen und Verkürzen, ein nicht aufgewärmter Muskel könnte unter dieser Belastung überdehnen oder gar reißen. Auch für Gelenke, Sehnen und Bänder steigt das Verletzungsrisiko ohne Aufwärmen enorm. Also: Vor dem Training am besten eine Runde Seilspringen, Hampelmänner und einige Liegestütze absolvieren!
Korrekte Ausführung – Korrekt ausgeführt senkt plyometrisches Training das Verletzungsrisiko, da es deine Muskeln, Sehnen und Gelenke durch die neuen Bewegungsabläufe langsam an eine dynamische Belastung gewöhnt. Die Gefahr eines Kreuzbandrisses im Fußball sinkt so beispielsweise erheblich. Das gilt jedoch nicht, wenn du die Bewegungen nicht sauber ausführst! Bei inkorrekter Übungsausführung steigt das Verletzungsrisiko dramatisch an.
Step by Step – Vor allem Anfänger sollten sich nur Schritt für Schritt an diese neue Trainingsform herantasten und die Intensität der Übungen langsam steigern. Selbst für Fortgeschrittene gilt aber: Mehr als 100 Wiederholungen pro Training und zwei Work-outs pro Woche sind kontraproduktiv und erhöhen das Risiko muskulärer Verletzungen. Dein Nervensystem benötigt mehrere Tage zur Regeneration, in denen er sich von der extremen Belastung erholt. Wer bereits klassisches Muskelaufbautraining betreibt, sollte vor einem reinen Plyo-Work-out zunächst einzelne Übungen in seinen normalen Trainingsplan einbauen, um den Körper langsam an die neue Belastung zu gewöhnen.
Körpergewicht – Wer abnehmen will, sollte sich gesund ernähren und Sport treiben, deshalb mag es nun etwas seltsam klingen, wenn wir sagen: Plyometrisches Training eignet sich nur bedingt für Menschen mit Übergewicht. Da das eigene Körpergewicht in der Regel den Trainingswiderstand darstellt, können die dynamischen Bewegungen Gelenke, Sehnen und Bänder zu stark belasten, wenn jenes Körpergewicht noch zu hoch ist. Übergewichtigen Einsteigern wird daher z. B. auch vom Joggen abgeraten und stattdessen Schwimmen empfohlen. Gerade bei Sprung-Übungen ist die Verletzungsgefahr bei Übergewicht recht hoch. Auch für trainierte Sportler gilt aber: Die Intensität langsam steigern und auf den eigenen Körper hören, die Übungen dürfen auf keinen Fall schmerzen!
Trainingsstand – Wie im Punkt zuvor bereits angedeutet, ist für die Ausführung plyometrischer Übungen ein gewisser Trainingsstand erforderlich. Nur weil ohne Gewichte trainiert wird, heißt das noch lange nicht, dass Anfänger problemlos hochintensive Work-outs absolvieren sollten. Im Gegenteil: Eine gewisse Basis an Kraft muss vorhanden sein, um die Übungen sauber und korrekt ausführen zu können. Die Sportwissenschaft gibt als Richtwert an, dass ein Sportler in der Lage sein sollte, sein eineinhalbfaches Körpergewicht per Kniebeuge zu bewältigen, wenn er mit einem intensiven Plyo-Programm beginnen möchte. Einsteiger können sich aber auch gern schon vorher langsam an das Training herantasten, indem zunächst Übungen mit geringerer Intensität gewählt werden, z. B. Kastensprünge auf einem niedrigen Kasten.
Beispiel für ein Plyo-Training
Der nachfolgende Plan beschreibt eine einzelne Trainingseinheit und ist vornehmlich für Plyo-Einsteiger mit Erfahrung im Kraftsport konzipiert. Die Einheit besteht aus vier Übungen und ist als Zirkeltraining gedacht. Das bedeutet: Nach einem zehnminütigen Warm-Up führst du alle vier Übungen ohne Pause nacheinander aus, anschließend darfst du eine Minute lang verschnaufen, bevor du wieder mit einem neuen Zirkel beginnst. Drei Durchgänge genügen, du kannst die Intensität allerdings durch Anzahl der Wiederholungen und Durchgänge beliebig variieren. Auch die Übungen darfst du gern austauschen, solltest du beispielsweise keinen Medizinball zur Hand haben. Achte aber darauf, möglichst für jede Körperpartie (Ober- und Unterkörper, Bauch) eine Übung dabei zu haben.
Aufwärmen
Seilspringen – 10 Minuten
Work-out
1. Hock-Streck-Sprung – 8 Wiederholungen
2. Liegestütze mit Medizinball – 8 Wiederholungen
3. Kastensprung – 8 Wiederholungen
4. Sit-Ups mit Medizinball – 8 Wiederholungen
Bildquelle: istockphoto.com / Franck-Boston