Solltest du stets bis zum Muskelversagen trainieren oder lieber nicht? Wir klären auf!
Die alten Hasen aus dem Fitness-Studio kennen nur eine Linie: Trainiere so hart du kannst, also bis deine Muskeln schlapp machen – und zwar in jedem Satz. Vor allem in der modernen Trainingswissenschaft wird aber immer öfter vom Training bis zum Muskelversagen abgeraten. Wer hat recht?
Was ist Muskelversagen?
Muskelversagen ist eine kurzfristige Muskelerschlaffung, die u. a. dazu führt, dass du im Training keine weitere sauber ausgeführte Wiederholung absolvieren kannst. Du musst den Satz dann beenden, oder zumindest so lange pausieren bis du eine weitere Wiederholung schaffst.
Der Sinn von Muskelaufbautraining ist es, deine Muskulatur derart zu erschöpfen, dass sie sich an die hohe Belastung anpasst und somit stärker und größer wird. Bis zum absoluten Versagen der Muskeln zu trainieren klingt daher logisch, oder? Denn wer seine Muskeln weniger belastet, würde sie demzufolge ja auch weniger zum Wachsen stimulieren. Bis zum Muskelversagen zu trainieren ist daher für die meisten Sportler eine Selbstverständlichkeit. Über die Jahre wurden sogar Methoden entwickelt, um über den Punkt des Muskelversagens hinaus trainieren zu können, Intensitätstechniken wie Dropsätze, Pausensätze oder erzwungene Wiederholungen mit einem Partner.
Ist Training bis zum Muskelversagen sinnvoll?
Wer Muskeln aufbauen möchte, muss hart trainieren. Da sind sich Befürworter und Gegner des Muskelversagen-Konzepts gleichermaßen einig. Viele Experten meinen jedoch, dass Training bis zur totalen Muskelerschöpfung nicht nur unnötig, sondern sogar kontraproduktiv ist, weil der Körper sich anschließend nicht ausreichend erholen kann und die Muskulatur deshalb nicht optimal wächst. Denn Regeneration ist für Muskelaufbau genauso wichtig wie Training.
Der Ansatz der Gegner des Muskelversagens ist, mit mehr Gewicht und weniger Wiederholungen zu trainieren. Bis zum Muskelversagen zu gehen wäre dann nicht mehr nötig, weil das Gewicht schwer genug ist, um die Muskeln zu stimulieren. So tun es beispielsweise Gewichtheber. Die trainieren selten bis zum Muskelversagen und haben trotzdem eine beeindruckende Muskulatur und jede Menge Kraft aufgebaut.
Wer hat nun Recht? Wie so oft, liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte.
Bei schweren Verbundübungen wie Kreuzheben solltest du nicht bis zum Muskelversagen trainieren.
Vorteile des Trainings bis zum Muskelversagen
Nicht umsonst hält sich das Konzept des Trainings bis zum Muskelversagen schon seit Jahrzehnten, es funktioniert offenbar. Die Sportwissenschaft belegt, dass mehr schnell kontrahierende Muskelfasern aktiviert werden, je intensiver das Training ist. Und die sind für den Aufbau von Muskeln und Kraft besonders wichtig. In einer Studie wurde zudem herausgefunden, dass Training bis zum Muskelversagen den Ausstoß von Hormonen wie HGH und Testosteron fördert, und auch die sind von großer Bedeutung für den Muskelaufbau. Hinzu kommt, dass die Muskelbelastung bei intensiverem Training logischerweise ansteigt und – wie eingangs bereits erwähnt – Muskelbelastung der Schlüssel zu Muskelwachstum ist, da dein Körper versucht, sich an die Belastung anzupassen und deshalb stärker wird.
Nachteile des Trainings bis zum Muskelversagen
Die Kehrseite der Medaille ist: Es existieren Hinweise darauf, dass Training bis zum Muskelversagen den Spiegel des Hormons Cortisol erheblich erhöht und Cortisol unterdrückt den Muskelaufbau. In einer Studie sank zudem der Ausstoß eines insulinähnlichem Wachstumsfaktors, der für das Muskelwachstum förderlich ist. Hinzu kommt, dass Muskeln, die bis zur absoluten Erschöpfung trainiert wurden, mehr Zeit zur Regeneration benötigen. Wer also ständig bis an den Rand der totalen Erschöpfung trainiert, riskiert langfristig sinkendes Muskelwachstum.
Ein weiteres Problem: Intensives Training belastet nicht nur die Muskeln, sondern auch das zentrale Nervensystem, dass u. a. den Einsatz deiner Muskeln steuert. Und das benötigt deutlich länger um sich zu erholen als die Muskulatur. Studien haben gezeigt, dass eine konstante Überbelastung des Nervensystems dazu führt, dass auf Dauer weniger intensiv trainiert werden kann. Übertrieben gesagt: Wer ständig bis zum Muskelversagen ackert, wird auf lange Sicht wertvolles Potential verschenken, weil sein Nervensystem nur noch Training auf Sparflamme erlaubt.
Das Training bis zum Muskelversagen kann außerdem auch aus Sicherheitsgründen nachteilig sein, zumindest wenn du allein trainierst. Ist nämlich kein Trainingspartner zur Stelle, kann es durchaus gefährlich werden, wenn dein Muskel z. B. bei schwerem Bankdrücken oder Kniebeugen schlapp macht. Muskel-, Gelenk-, Bänder- oder Sehnenverletzungen können die Folge sein, schlimmstenfalls erschlägt dich die Hantel.
Übungen am Kabel eignen sich hervorragend für das Training bis zum Muskelversagen.
Tu einfach beides!
Wir haben nun gelernt, dass Training bis zum Muskelversagen große Vor- aber auch Nachteile mit sich bringt. Was sollten wir also tun, bis zum Versagen trainieren oder nicht? Ganz einfach: beides!
Wir raten dazu, bei schweren Übungen, die das Nervensystem besonders fordern, kurz vor dem Muskelversagen zu stoppen, z. B. bei Kniebeugen, Kreuzheben, und Drückübungen mit freien Gewichten. Wähle dein Gewicht so, dass du stets sauber und explosiv trainieren kannst. Sobald du merkst, dass Ausführungsgeschwindigkeit und Explosivität abnehmen, hör auf.
Bei Übungen, die das Nervensystem weniger fordern, wie Drückübungen an der Maschine und Isolationsübungen, darfst du bei zumindest einem Satz pro Übung ruhig bis zum Muskelversagen trainieren und mit Intensitätstechniken sogar darüber hinausgehen.
Betrachte das Erreichen des Muskelversagens einfach nicht als ständiges Muss, sondern als probates Mittel, um deinen Muskeln dann und wann einen zusätzlichen Kick zu verpassen. So kannst du von den Vorteilen profitieren ohne unter den Nachteilen zu leiden und wirst weiterhin Fortschritte in Sachen Muskelaufbau und Kraftzuwachs machen.
Wenn du mehr zu dem Thema erfahren willst empfehlen wir dir das Buch „Fit ohne Geräte“ von Mark Lauren. Zwar werden in dem Buch hauptsächlich Übungen gezeigt, aber auch der Teil über die Grundlagen des Trainings ist sehr gut recherchiert.
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