Wie lange ist zu lang – und wie kurz zu kurz? An der optimalen Trainingsdauer für optimales Muskelwachstum scheiden sich die Geister. Das sagen Wissenschaftler dazu.
Wie lange man im Fitness-Studio trainiert, ist meist zur einen Hälfte Trend und zur anderen eine Einstellungsfrage. Während es früher selbstverständlich war, zwei Stunden und mehr in der Muckibude zu verbringen, tun das inzwischen nur noch alte Gym-Hasen. Heute ist es „in“, so kurz und effektiv wie möglich zu trainieren. Wer mehr als 45 Minuten Eisen stemmt, riskiert, das Muskelwachstum zu hemmen, weil der Testosteronspiegel beginnt, zu sinken, ist heute eine weit verbreitete Annahme. Ist da was dran?
Die 45-Minuten-Theorie
Wie bei vielen Theorien, die über die Jahre verbreitet und irgendwann als unumstößliches Gebot kolportiert werden, ist die Herkunft der 45-Minuten-Regel inzwischen den Meisten überhaupt nicht mehr bekannt. Rausgehauen hat die nämlich der Bulgare Ivan Abadjiev, ein legendärer Gewichtheber-Trainer, der 12 Olympiasieger, 57 Welt- und 64 Europameister hervorgebracht hat. Er muss es wissen, oder? Tut er auch. Es sollte allerdings erwähnt werden, dass Abadjievs Schüler Hochleistungssportler waren, die bis zu vier Einheiten am Tag mit schwersten Gewichten absolviert haben. So viel trainieren die meisten Hobby-Sportler nicht in der Woche! Da ist es klar, dass eine Einheit nicht länger als 30 bis 45 Minuten dauern durfte, bevor sie kontraproduktiv wurde.
Das sagt die Wissenschaft
Studien haben belegt, dass andauerndes Lauftraining mit moderater Intensität das Immunsystem vorübergehend schwächen kann. Hoch-intensive kurze Einheiten erhöhen laut Forschungen dagegen die Insulinempfindlichkeit der Muskulatur, was zu besserem Muskelaufbau und schnellerem Fettabbau führt, und steigern spürbar den Testosteronspiegel, (gut für den Muskelaufbau) sowie den sogenannten Nachbrennwert EPOC (gut für die Fettverbrennung), allerdings auch den Cortisolspiegel (schlecht für den Muskelaufbau) – der steigt jedoch auch bei langem Training mit zunehmender Belastung an.
Klingt auf den ersten Blick, als sei kürzer wirklich besser. Hormonelle Schwankungen können jedoch viele Ursachen haben und werden unter anderem auch durch Veranlagung und Trainingsniveau eines Sportlers bestimmt, und nicht zuletzt dadurch, wie viel in der „kurzen“ Zeit trainiert wird, bzw. werden kann. Anfänger werden nämlich weniger Sätze und Gewicht in 45 Minuten bewältigen können als Fortgeschrittene. Wie viel Aufschluss diese Studien also wirklich geben, ist fraglich. Eine weitere Untersuchung aus dem Jahr 2011 hat zudem belegt, dass vorübergehende hormonelle Schwankungen das Muskelwachstum entgegen früherer Annahmen sowieso kaum beeinflussen. Zumindest nicht in einem spürbaren Maß.
Und auch längere Einheiten besitzen Vorteile. Sie ermöglichen längere Pausen zwischen den Sätzen, in denen dein Körper Stoffe produzieren kann, die zu Kraft- und Ausdauerzuwächsen führen. Nur extrem langes Training, von mehr als zwei Stunden, kann das Verletzungsrisiko laut einer Studie auf Dauer merklich erhöhen und sollte daher vermieden werden.
Wie lange solltest du trainieren?
Zunächst sollten wir einmal klären, wann die Uhr überhaupt beginnt zu ticken. Wenn du das Studio betrittst? Oder sobald du dich auf die Hantelbank legst? Zählen Dehnen und Aufwärmen zur Trainingsdauer?
Es ist schwer zu sagen, ab wann sich dein Körper in einem hormon-relevanten Stresszustand befindet. Schon leichte Aufwärmübungen können dazu beitragen, im Grunde sogar die bloße Anwesenheit im Studio, weil deine Psyche dann bereits in den Arbeitsmodus übergehen kann. Sicher kennst du das Gefühl, wenn du die Stufen zu deinem Fitness-Studio hinaufgehst und mit deiner Lieblingsmusik im Ohr schon an den ersten Satz Bankdrücken denkst – richtig: dein Herz beginnt schneller zu schlagen. Das geht jedem so. Dein zentrales Nervensystem weiß, was gleich kommt, und bereitet deinen Körper so auf die anstehende Belastung vor. Dein Work-out beginnt also schon lange vor dem eigentlichen Work-out.
Weitere Faktoren, die die Länge deiner Trainingseinheiten bestimmen sind:
Der Trainings-Split
Die Planung deiner Trainingstage spielt eine gewaltige Rolle für die Dauer deiner Einheiten. Manche Ganzkörper-Work-outs können tatsächlich bis zu zwei Stunden dauern, ein Armtraining als Teil eines Körperteil-Splits dagegen selten länger als 40 Minuten. Beide Systeme sind gut und effektiv, aber eben völlig unterschiedlich in Aufbau und Dauer.
Aufwärmen
Aufwärmen ist wichtig, es bereitet deine Muskulatur auf das anstehende Training vor, mindert das Risiko von Verletzungen und erhöht die Leistungsfähigkeit. Aber es dauert auch locker zehn bis fünfzehn Minuten, wodurch dein Work-out sicher länger als eine Stunde dauert. Solltest du deshalb darauf verzichten? Natürlich nicht.
Leistungsstand
Unerfahrene Sportler benötigen meist länger für ihr Training, weil sie mehr Aufwärmsätze absolvieren, längere Pausen machen usw.
Supersätze
Wer viel mit Supersätzen arbeitet, wird automatisch weniger lange trainieren als andere Sportler, selbst wenn er die gleiche Anzahl an Übungen und Wiederholungen absolviert – denn er spart sich ja die Pausen zwischen den Supersätzen.
Persönliche Leistungsgrenze
Es ist ganz einfach: Manch einer kann mehr Training vertragen als der andere ohne ins Übertraining zu rutschen. Hier spielt die genetische Veranlagung eine große Rolle.
Trainingshäufigkeit
Wer extrem häufig trainiert, also sechs bis zehnmal in der Woche, wird notgedrungen kürzere Einheiten hinlegen müssen, da Intensität und Trainingshäufigkeit natürlich untrennbar miteinander verknüpft sind. Wer dagegen nur ein oder zwei Ganzkörper-Trainings pro Woche absolviert, darf auch schon mal länger schwitzen.
Ausdauertraining
Wer seine Ausdauereinheiten nicht an trainingsfreien Tagen absolviert, sondern im Anschluss an das Muskelaufbautraining, wird wohl oder übel eine ganze Weile im Studio verbringen.
Sportlernahrung während des Trainings
Für Ausdauersportler wie Marathonläufer oder Radfahrer gehören sie zur Grundausrüstung: schnell verfügbare Nährstoffe, die noch während der langen Belastungsphasen konsumiert werden können und einen Leistungseinbruch nach hinten heraus schieben können. Kohlenhydrate z. B., aber auch Proteine. Auch bei Kraftsportlern kann der Nährstoffkick während des Trainings die Leistungsfähigkeit verlängern.
Vorlieben
Natürlich spielen auch deine persönlichen Vorlieben eine Rolle. Wenn du gern stundenlang im Studio verbringst und dir beim Training gern ein wenig länger Zeit lässt, weil du zwischen stöhnenden Kerlen und krachenden Eisen einfach richtig gut abschalten kannst, dann solltest du das auch weiterhin tun. Denn letztlich geht es beim Sport doch um folgendes: Er soll Spaß machen und du sollst dich wohl fühlen – dann kommen die Erfolge ganz von selbst.
Fazit
Was ist also die Antwort auf unsere eingangs gestellte Frage? Wie lange du trainieren sollst, hängt, wie so oft, von vielen verschiedenen Faktoren ab. Studien haben gezeigt, dass kurze und knackige Work-outs in der Tat ein wenig besser sind, vor allem wenn du Fett verbrennen willst. Einen spürbaren Einfluss auf Muskelauf- oder Abbau hat die Dauer des Trainings aber nicht.
Modetrends wie HIT-Training kommen und gehen. Kurze, intensive Einheiten sind gut und effektiv, aber nicht der einzige Weg um Muskeln aufzubauen. Legenden wie Arnold Schwarzenegger haben praktisch den gesamten Tag im Gym verbracht und gigantische Work-outs mit wahnwitzig vielen Sätzen absolviert. Und Arnie gilt nicht ohne Grund bis heute als das Maß aller Dinge im Bodybuilding-Bereich.
Das perfekte Zeitlimit für ein Training existiert nicht. Trainier einfach so lange du dich wohl fühlst und noch sicher und effektiv deine Gewichte stemmen kannst!
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